5 Stolperfallen in der ESG-Strategie-Entwicklung
#1: Warum 100 Maßnahmen noch keine ESG-Strategie sind
Verständlicherweise haben viele Unternehmen den Impuls, möglichst schnell in die konkrete Umsetzung von ESG-Maßnahmen zu kommen. Maßnahmen werden zusammengetragen und das ESG-Management mit einer gut gefüllten Liste gestartet. Eine Zeit lang mag das gut gehen, nach einiger Zeit kommen viele Unternehmen allerdings ins Stolpern: Denn in einem Projekt werden bestimmte ESG-Maßnahmen umgesetzt, im anderen keine oder von ganz anderer Art. Der Bereich „Environment“ wird vielleicht gut abgedeckt, konkrete Action Steps für die Bereiche „Social“ oder „Governance“ wurden aber nicht definiert. Übergeordnete Zielsetzungen auf Unternehmensebene sowie eine übergreifende Vision fehlen. Das Problem: ESG-Management ohne (Unternehmens-)Strategie ist planlos. Eine auf Unternehmensebene angesiedelte Strategie stellt die grundlegenden Weichen, aus denen sich Ziele und Maßnahmen für unterschiedliche Ebenen wie Unternehmen oder Projekt ableiten. Startpunkt in der Strategie-Entwicklung sollten daher immer die Definition der grundlegenden Werte und der wesentlichen Themen darstellen, die mittels einer Wesentlichkeitsanalyse bestimmt werden.
#2: Wer hält die Fäden zusammen
Die Entwicklung einer ESG-Strategie sowie das Management der Nachhaltigkeitsthemen erfordern Zeit und kontinuierliche Bearbeitung. Nicht immer muss dafür sofort ein eigener Bereich bzw. eine eigene Stelle geschaffen werden. Je nach Unternehmensstruktur kann es sinnvoll sein, das Thema ESG innerhalb einer bestehenden Abteilung anzusiedeln. Worauf es aber ankommt: Das Vorhandensein von Know-How, Vernetzung und Ressourcen. Es braucht (mindestens) eine Person im Unternehmen, die sich vertieft mit dem Thema ESG auseinandersetzt, gut vernetzt ist und vor allem ausreichend Kapazität hat, das Thema intern voranzutreiben. Oft wird unterschätzt, wie viel Organisationsaufwand ein Strategie-Prozess mit sich bringen kann. Da eine Strategie-Entwicklung schon mal 6 bis 9 Monate dauert, ist es wichtig, dass jemand über die gesamte Projektlaufzeit die Fäden und das Strategie-Team zusammenhält, kontinuierlich nachhakt, Milestones und Timings definiert und gegebenenfalls die externe Beratung koordiniert.
#3: Die passenden Ziele definieren: ambitioniert, aber realistisch
Einer der kniffligsten Parts der ESG-Strategie-Entwicklung ist zweifelsohne die Definition von wirksamen ESG-Zielen für die identifizierten Strategiethemen. Diese sollten ambitioniert, aber gleichzeitig realistisch umsetzbar sein. Der Zeithorizont zur Zielerreichung sollte nicht zu kurz- aber auch nicht zu langfristig sein. In der Praxis haben sich 3-5 Jahre für konkrete Zielstellungen als Zielmarke bewährt. Übergeordnete Ziele sollten natürlich entsprechend länger angelegt sein. Um ambitionierte Ziele zu erreichen, müssen sich Unternehmen einer tiefgreifenden Transformation der eigenen Prozesse unterziehen oder sind mit oft nicht unerheblichen Kosten verbunden. Hier wird klar: Eine ESG- und Nachhaltigkeitsstrategie geht tief und tut manchmal weh. Daher sollte für die Ziele-Definition genügend Zeit und Raum eingeplant werden. Mit sogenannten „quick wins“ zu arbeiten, also mit Zielen, die einfach erreicht oder bereits erreicht wurden, um möglichst schnell eine Strategie vorweisen zu können, ist nicht empfehlenswert und fällt Unternehmen in aller Regel schnell wieder auf die Füße.
#4: Know and own your data
In der ESG-Strategie-Entwicklung stolpern viele Unternehmen früher oder später über das Thema Daten. Genauer: Die Datenqualität. Wie können sinnvolle Emissionsziele gesetzt werden, wenn der Verbrauch nicht lückenlos dokumentierbar ist? Ebenso werden für Reporting sowie Ratings und Zertifizierungen eine möglichst umfassende Datenbasis aus dem Spektrum E, S und G vorausgesetzt. Für Unternehmen heißt das: Know and own your data – Daten müssen erhoben, kontinuierlich erfasst und ausgewertet und Datenlücken geschlossen werden. Dieser Prozess braucht Geduld, Sorgfältigkeit und Know-How. Auch wenn es hervorragende Tools und Lösungen für die Erfassung gibt, braucht es kontinuierliche Pflege. Der Weg zu einer guten Datenbasis für ESG ist anstrengend, aber er lohnt sich. Nur wer die Daten für definierte Bereiche über die Jahre erhebt, sieht, ob die ESG-Strategie die richtigen Weichen setzt und Maßnahmen wirkungsvoll sind. Darüber hinaus bilden aussagekräftige Daten die Grundlage einer glaubwürdigen und starken ESG-Kommunikation abseits von Greenwashing und Greenhushing.
#5: Gut Ding braucht manchmal wirklich Zeit!
Sind wir mal ehrlich: Langzeitprojekte rauben viel Zeit und Nerven. Die Motivation unter allen Beteiligten aufrecht zu erhalten, ist eine Herausforderung. Die Entwicklung einer ESG-Strategie artet oftmals genau zu so einem Langzeitprojekt aus. Denn je tiefer man einsteigt, umso stärker entfaltet sich die Transformationskraft des Themas. ESG und Nachhaltigkeit, sofern sie kohärent in die Unternehmensstrategie einfließen, können zu erheblichen Kursänderungen des Unternehmens führen. Ziele werden neu gesteckt, Prozesse müssen neu gedacht oder angepasst, neues Know-How und Ressourcen aufgebaut werden. All das kostet viel Zeit, bietet aber auch die Chance, das Unternehmen fit für die Zukunft zu machen und die nachhaltige Entwicklung aktiv mitzugestalten.
Über die Autorin
Viola Raddatz ist erfahrene Expertin für ESG und Corporate Sustainability. Sie berät Unternehmen zu Strategieentwicklung und Kommunikation im Bereich Sustainability und ESG.